Finale in Valencia: Gustl Auinger zieht Bilanz und wirft einen ersten Blick auf 2020
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MotoGP 2019 - Durch die Brille der Experten

Vor dem Finale in Valencia zieht Gustl Auinger, ServusTV-MotoGP-Experte, Bilanz zum von Marc Márquez beherrschte WM-Jahr und blickt in Richtung 2020.

Das Jahr 2019 stand ganz im Zeichen von Marc Márquez. Er hat die MotoGP mit seinen Fähigkeiten und dem unglaublichen Willen, alles zu beherrschen, in eine andere Sphäre gehoben und sein Programm von Anfang bis Ende durchgezogen. Der Spanier bringt immer wieder alle zum Staunen. Die furiose erste Runde in Sepang, in der er vom elften auf den zweiten Platz vorfuhr, hat einmal mehr unterstrichen, welch Ausnahmeerscheinung er ist. Dafür brauchst du Härte, grenzenloses Vertrauen in dein Team und Material, aber nach diesem unnötigen Qualifying-Sturz auch die Gedankenkontrolle, so einen Unfall im Rennen komplett auszublenden. So spektakulär dieser Sturz und der Abflug in Buriram auch waren: Dabei unverletzt zu bleiben, ist enorm vom Glück abhängig.
 
Man schaut zwar immer auf den Sieger, vergisst aber, dass es dahinter sehr, sehr eng zugeht. In den Top 4 stehen vier verschiedene Fabrikate. Für mich gehört Fabio Quartararo vom Alter, Talent und seinem Umfeld zu jenen Fahrern, die in der Lage sind, die Dominanz des Honda-Superstars zu brechen. Dass er praktisch ohne Erwartungshaltung die Saison bestreiten konnte, hat ihm natürlich geholfen. Die meisten Experten waren ohnehin der Meinung, die MotoGP sei zu früh für ihn und er solle besser noch in der Moto2 Erfahrung sammeln. Er hat mit seinem enormen Talent und seiner beeindruckenden Unbeschwertheit einfach nur versucht, sein Motorrad zu verstehen und die Stärken der Yamaha kompromisslos zu nutzen.
 
Maverick Viñales hat sich an dieser Herangehensweise ein Beispiel genommen und ungeachtet der neuen Teile, die von Yamaha in das Werksteam geliefert wurden, sich nur mit seinem Motorrad auseinandergesetzt und versucht, die Stärken zu erkennen und zu nutzen. Valentino Rossi hat relativ früh die Saison abgeschrieben und gemeint, man muss auch an morgen denken und hat Testarbeit geleistet, die für 2020 als Entwicklungsrichtung für Yamaha notwendig war. Mit dieser Arbeitsteilung hat Yamaha schon ab Saisonmitte erkennbare Fortschritte erzielt. Mit den Siegen in Assen und Sepang ist eine enorme Last abgefallen. Diese positive Stimmung soll nun die Motivation für 2020 sein.
 
Auch Ducati wirkt nach Sepang deutlich gelöster, nachdem durch Jorge Lorenzos Flirt mit Ducati diese für ein italienisches Team notwendige Harmonie etwas aus den Fugen geraten ist. Immerhin wurde Ducati nun nach 2017 und 2018 auch heuer nur von Marc besiegt.
 
Apropos Lorenzo: Er ist zweifelsohne die Enttäuschung dieser Saison. Spätestens seit seinem Sturz in Assen (Wirbelbrüche) wird ihm schonungslos vor Augen geführt, dass er alles aufs Spiel setzen könnte, was er sich in diesem Sport erarbeitet hat. Lorenzo ist ein Fahrer, der wie kein anderer seine Rennen mit unglaublicher Präzision fahren und gewinnen kann. Dazu braucht er aber ein Motorrad, das ihm ganz klare Rückmeldung gibt, um sich am Limit bewegen zu können.
 
Auch KTM ist nicht dort, wo man nach drei Saisonen MotoGP sein möchte. Highlights wie Le Mans, Mugello und Misano waren eindeutig die Verdienste von Pol Espagaró. Wenn KTM den von Unternehmenschef Stefan Pierer gesteckten Zielen hinterherhinkt, ist sofort Unruhe und Nervosität spürbar. Sie dürfen halt nicht vergessen, dass ihre Gegner bis zu 50 Jahre Erfahrung in der Motorrad-WM haben und es die höchste Liga im Motorradsport ist. Überzogene Ziele und daraus resultierender Druck bringen dich nicht unbedingt weiter. Beispielgebend für KTM ist die Moto2. Dort wurde aufgrund mangelnder Erfolge das Projekt zur Chefsache erklärt, komplett umgekrempelt und richtig Druck ausgeübt. Da sich die Resultate trotzdem nicht änderten, wurde beim ÖsterreichGP der Ausstieg beschlossen. Dadurch schwand das firmeninterne Interesse an der Moto2, die Techniker konnten wieder ruhiger arbeiten und KTM gewinnt wieder mit Brad Binder.
 
In Hinblick auf 2020 lautet die Frage, ob irgendwer Márquez ins Wadl beißt, sodass er es auch spürt. Die Geschichte hat gezeigt, dass jeder irgendwann seinen Zenit erreicht und dann mit dem Druck der anderen konfrontiert ist. Marc hat eine großartige Fähigkeit, eventuelle Schwächen an seinem Motorrad fahrerisch zu kompensieren. Dies ist aber mit großer Risikobereitschaft verbunden. Ein Sprichwort besagt: Viele Hunde sind des Hasen Tod. Von Yamaha wird er mit vier Gegnern zu rechnen haben, Ducati dürfte mit mindestens drei Fahrern die Jagd aufnehmen. Und Suzuki sollte man auch nicht vergessen. Schützenhilfe aus dem Honda-Lager ist momentan nicht zu sehen.
 
Eines ist aber sicher: Die MotoGP wird uns auch 2020 wieder begeistern.
 
August "Gustl" Auinger ist die österreichische Motorrad-Legende schlechthin und Riding Coach des Red Bull Rookies Cup. In der MotoGP-Saison 2019 analysiert er als Experte für ServusTV die Rennen live aus der Boxengasse.

ADAC Motorsport