Der Große Preis von Frankreich kehrt zurück: Ein Ausblick auf den achten Lauf der F1-Saison 2018
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Formel 1 Mercedes AMG Team Feature der Woche: Wie Teams an eine neue Strecke herangehen

(Speed-Magazin.de) An diesem Wochenende kehrt die Formel 1 beim Großen Preis von Frankreich auf den Circuit Paul Ricard zurück. Die Strecke hat sich seit dem letzten dort ausgetragenen Formel 1-Rennen im Jahr 1990 stark verändert und die Formel 1-Teams sehen sich nicht oft komplett neuen Austragungsorten gegenüber. Wie geht das Team also in so einem seltenen Fall vor?

Wie hat sich das Team auf die neue Strecke vorbereitet?

Der erste Schritt bei der Vorbereitung auf den Großen Preis von Frankreich war die Erstellung von präzisen Streckenplänen des 5,842 km langen Circuit Paul Ricard, der aus 15 Kurven besteht (sechs Links- und neun Rechtskurven). Der einfachste Weg, um solche Karten zu erstellen, ist die Verwendung von technischen Zeichnungen. So kennt man die Kerbs und die Topographie der Strecke. Die meisten Teams versuchen heutzutage jedoch, lasergenerierte Lidar-Karten („ Light Detection and Ranging“) zu verwenden, die noch präziser sind.

Zusätzlich zu ihrer hohen Genauigkeit bieten Lidar-Karten noch einen weiteren Vorteil: Sie enthalten alle visuellen Merkmale des Geländes. Deshalb werden sie für den DIL-Simulator („Driver-In-Loop“ ) verwendet, da die Fahrer dann auch genau das sehen, wie es auch in der Realität aussieht.

Außerdem benötigt das Team genaue Karten für seine anderen Simulationswerkzeuge, die Daten sammeln und Werte berechnen. Dadurch erhält das Team eine anfängliche Ausrichtung, wie es das Wochenende angehen sollte. Bei einer gut bekannten Strecke beruhen diese Simulationen auch auf Erfahrungswerten und Daten der letzten Jahre. Bei einer neuen Strecke wird die Rennlinie für die Simulationen von den Runden im DIL-Simulator abgeleitet.

Was sind die Schlüsselcharakteristiken der Strecke und was bedeuten sie für die Fahrzeugabstimmung?

Formel 1-Teams gehen eine neue Strecke nicht mit einer festgelegten Meinung an, wie „es ist eine starke Brems-Strecke“ oder „es ist eine Strecke mit einer langen Geraden“. Stattdessen gehen sie im Simulator eine Vielzahl an verschiedenen Einstellungen und Setups durch, um so die kritischsten Faktoren besser zu verstehen – einer davon ist die gewählte Flügeleinstellung. Entsprechend absolvieren sie im Simulator viele Runden mit verschiedenen Heckflügeleinstellungen. Diese gleichen sie mit dem Frontflügel aus und sehen dann, welches die schnellste und welches die langsamste Abstimmung ist.

Aufgrund der Schikane auf der Gegengerade sind die Geraden auf dem Circuit Paul Ricard nicht besonders lang. Die Fahrer verbringen auch ein angemessenes Maß an Zeit in den Kurven. Tatsächlich werden die Kurven drei bis sieben und zehn bis fünfzehn beinahe durchgängig mit Lenkeinschlag durchfahren. Sowohl die relativ kurzen Geraden als auch die Anzahl der Kurven sorgen dafür, dass die Strecke am oberen Ende der Abtriebs-Skala liegt.

Und was haben die Simulationen nun an Werten geliefert? Wir erwarten 46 Gangwechsel pro Runde, einen voraussichtlichen Volllastanteil von 58% der Runde und 70% der Rundendistanz. Dabei haben wir in Betracht gezogen, dass die Kurven zehn und dreizehn voraussichtlich mit Vollgas durchfahren werden. In Kurve elf erwarten die Fahrer die höchsten G-Kräfte von bis zu 4,1 G. Die Höchstgeschwindigkeit dürfte bei rund 325 km/h liegen.

Welche anderen Faktoren sind bei den Simulationen entscheidend?

Die Teams versuchen auch, herauszufinden, wie stark die Bremsen belastet werden. Dadurch können sie festlegen, wie viel Kühlung die Bremsen beim Anfangssetup benötigen. Angesichts unserer Simulationen erwarten wir, dass die Bremsenergie in Frankreich eher gering sein wird.

Die Unebenheiten einer Strecke sind ebenfalls entscheidend für die Simulationen, da sie bestimmen, wie hoch die Fahrhöhe des Autos ausfällt. Je mehr Bodenwellen es gibt, desto wichtiger ist es, dass das Auto weich und gutmütig abgestimmt ist. Gleichzeitig geht dies auf Kosten der aerodynamischen Performance.

Der Circuit Paul Ricard wurde kürzlich neuasphaltiert. Entsprechend sollte der Belag sehr glatt sein und nur wenige Bodenwellen aufweisen. Genau das wird sich das Team nach der Ankunft an der Strecke genau ansehen und dann gegebenenfalls neu abschätzen. Ein neuer Asphalt ist normalerweise dunkler, weshalb er in der Sonne sehr heiß wird. Deshalb müssen wir uns die Umgebungstemperaturen zu dieser Jahreszeit genau ansehen, um diese Elemente genau zu verstehen.

Gibt es Elemente, die das Team nicht so gut simulieren kann?

Die Fahrzeugbalance lässt sich normalerweise nur schwer simulieren. Dabei geht es darum, zu verstehen, wo die Fahrer Über- und Untersteuern haben. Der Grund dafür ist, dass die Fahrzeugbalance sehr stark von den Reifentemperaturen abhängt, die wiederum von der Belastung in der jeweiligen Kurve sowie den Strecken- und Umgebungstemperaturen abhängen.

Da die Simulationswerkzeuge mit Blick auf Fragen zur Fahrzeugbalance keine exakten Antworten liefern, vertraut das Team hier auf seine Erfahrung und im Falle einer neuen Strecke wie in Le Castellet auch ein wenig auf seine Intuition. Das Team kann jedoch Vergleiche zwischen dem Circuit Paul Ricard und anderen Strecken anstellen. Das kann bei der Abstimmung der aerodynamischen und mechanischen Balance hilfreich sein.

So kann sich das Team zum Beispiel andere Formel 1-Strecken ansehen, die neuasphaltiert wurden und auf denen wir in dieser Saison oder in der Vergangenheit bereits gefahren sind. Dadurch weiß es, welche Charakteristiken eine neuasphaltierte Strecke besitzt. Grundsätzlich ist sie glatter und nimmt durch die dunklere Farbe mehr Hitze auf. Das Team kann auch untersuchen, ob es ähnliche Kurventypen (für die Balance) oder ähnliche Umgebungstemperaturen gibt, um dadurch die Anforderungen an die Kühlung besser zu verstehen.

Absolviert das Team auf einer neuen Strecke mehr Simulationen?

Natürlich müssen neue Streckenkarten erstellt und im Simulator eingesetzt werden, aber mit Blick auf die eigentlichen Fahrsimulationen ist das nicht der Fall. Die Fahrer verbringen möglicherweise etwas mehr Zeit im DIL-Simulator als sonst, um sich an den neuen Streckenverlauf und die Abfolge der Kurven zu gewöhnen. Aber mit Blick auf die Fahrzeugkonfiguration durchläuft das Team nur sein übliches Programm.

Demnach ist die Herangehensweise an das Wochenende nicht so viel anders als bei einem Rennen mit vielen vorhandenen Daten. Nachdem die Autos am Freitag zum ersten Mal auf die Strecke gegangen sind, absolviert das Team über Nacht Simulationen und geht alle Einstellungen noch einmal durch, um sicherzustellen, dass sie richtig funktionieren.

Was ist die härteste Herausforderung für die Fahrer?

Die Fahrer müssen die Strecke lernen, aber dafür benötigen sie normalerweise nicht sehr lange. Am meisten konzentrieren sie sich auf ihre Linienwahl in den Kurven. Da auf dem Circuit Paul Ricard so viele Kurven miteinanderverbunden sind, gibt es viele Möglichkeiten, um dazwischen Zeit gutzumachen. So gewinnt man Zeit an einer Stelle, verliert aber an einer anderen etwas, erzielt am Ende aber eine schnellere Rundenzeit.

Das gilt besonders für den Abschnitt von Kurve drei bis sieben. Diesbezüglich können sie im Simulator etwas herumspielen, um die richtigen Linien zu finden und herauszufinden, welche Kerbs sie überfahren können. Einige spezifische Eigenschaften der Strecke lassen sich aber erst zur Gänze verstehen, wenn sie tatsächlich auf der Strecke fahren. Dazu gehören individuelle Bodenwellen im Asphalt oder besonders aggressive Kerbs, die das Auto aus der Balance bringen können.

Die Einsätze im Simulator weisen die Fahrer auf solche Besonderheiten und speziellen Charakteristiken hin, zeigen ihnen, wo sie sind und wie sie diese angehen müssen. Auch das Thema „ Track-Limits“ wird aus Fahrersicht interessant, da es in Frankreich abseits der Asphaltstrecke keine Mauern, Kiesbetten oder Wiesen gibt. Die Strecke ist sehr offen und besitzt weite Auslaufzonen, die am Freitag Probleme hervorrufen könnten.

Daimler / RB

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