Ferrari gewann den Start in Sotchi aber verlor das Rennen
© Lukas Gorys | Zoom

Formel 1 Insider Lukas Gorys zum Ergebnis in Sotchi: Bruchlandung für die Ferrari-Jets

Die Preisfrage des Tages ist: wie konnte Ferrari den GP Russland 2019 verlieren? Die Roten waren das ganze Wochenende überlegen und führten das Rennen vom Start weg deutlich an. „Die fahren ein unglaubliches Tempo“ stöhnte Lewis Hamilton immer wieder im Funkverkehr mit seinem Team. Im Qualifying hatte er staunend anerkannt: „die Ferrari fahren hier im Jet-Modus“. Trotzdem sprang am Ende nur ein bescheidener Platz 3 für Ferrari heraus und Mercedes feierte einen überraschenden, aber sehrt verdienten Doppelsieg auf dem Olympiagelände von Sotchi - wie jedes Jahr seit 2014!

Großer Preis von Russland 2019

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In der Startphase passierte genau das, was Sebastian Vettel gehofft und Charles Leclerc gefürchtet hatte: wer am Start vorne steht, riskiert aufgrund der langen Anfahrt zur ersten Kurve im Windschatten vom Zweit- oder Drittplatzierten überholt zu werden.

Kanonenstart von Vettel

Sebastian Vettel hatte in Sotchi einen Kanonenstart und ging schon auf den ersten zweihundert Metern am zweiten Lewis Hamilton vorbei. Und dann wirkte wie erwartet der Windschatten von Leclerc. In der Bremszone zur ersten Kurve übernahm Vettel problemlos die Führung, Leclerc war auf Platz zwei, dahinter Lewis Hamilton. Ferrari in Doppelführung- das wäre eigentlich ein Grund zur Freude. Aber nicht für die Italiener am Kommandostand von Ferrari und Charles Leclerc im Cockpit!
Ferrari gewann den Start in Sotchi aber verlor das Rennen
Ferrari Team-Order an Vettel: "Lass Leclerc vorbei!"  © Lukas Gorys
Anstatt einige Runden zu fahren und zu schauen, wie sich das Rennen entwickelt, begann zwischen dem Leitstand der Scuderia und ihren beiden Fahrern ein reger Funkdialog. Offenbar hatten die beiden während der ersten Runden genügend Zeit für ausführliche Gespräche und hatten wenig Mühe, um Lewis Hamilton in Schach zu halten... „Ich habe meinen Teil der Abmachung gehalten und bin jetzt hinten. Jetzt will ich die Position zurück“,  beschwerte sich Leclerc am Kommandostand. Die Ferrari-Strategen beruhigten den 21jährigen Monegassen: „Sebastian wird dich in der nächsten Runde vorbei lassen.“ „Ich wäre ja sowieso an ihm vorbei, jetzt lasst uns doch erstmal ein paar Runden fahren.“, war Vettels prompte Replik auf den Befehl, Leclerc vorbei zu lassen. 

Ferrari Absprache

Bald wurde klar: Leclerc hatte sich am Start offenbar wegen einer Ferrari-Absprache nicht gegen Vettel verteidigt, damit beide Ferrari vor den Mercedes in die erste Kurve fahren konnten, ohne eine Kollision zu riskieren. Teil des Deals: Vettel sollte Leclerc gleich wieder vorbeilassen. Leclerc schien stinkesauer: „Ihr habt dafür gesorgt, dass ich jetzt hinten liege. Ich habe alles beachtet. Darüber müssen wir später sprechen." Ein deja-vu für die Zuschauer, denn schon vor 7 Tagen in Singapore hatte Leclerc seinem Team immer wieder per Funk angedroht, darüber nach dem Rennen noch mal sprechen zu wollen... 
 
Bis zur 23. Runde machte Vettel keine Anstalten, Leclerc vorbei zu lassen. Im Gegenteil: er baute seinen Vorsprung auf über 4 Sekunden aus. Dahinter im Abstand von weiteren 4 Sekunden lauerte Lewis Hamilton. Und der Weltmeister hatte ein Ass im Ärmel, das Ferrari offenbar nicht ernst nahm: Beide Mercedes waren auf den Medium-Reifen unterwegs, während die Ferrari auf den Soft-Reifen fuhren und beim Boxenstop auf Medium wechseln sollten. 

Vettel Reifen-Alarm

Doppelpodium für Mercedes in Russland
Doppelpodium für Mercedes in Russland © Lukas Gorys
In der 23. Runde beorderte Ferrari Leclerc zum Boxenstop. Vettel hätte normalerweise eine Runde später reinkommen sollen, aber Ferrari ließ den vierfachen Weltmeister wie zur Strafe für den Ungehorsam, Leclerc nicht gleich vorbei gelassen zu haben, vier weitere Runden auf der Strecke. „Meine Reifen sind am Ende“, schlug Vettel Alarm, aber erst in der 27. Runde hatte Ferrari ein Einsehen und wechselte sehr gemütlich (3 Sekunden Standzeit!) bei Vettel auf Medium –Reifen. Natürlich war damit Leclerc an Vettel vorbei. Aber ein halbe Runde später war Vettels Ferrari mit defekter Batterie ausgefallen. Gibt es so etwas wie Karma in der Formel1? Denn weil Rennleiter Marsi wegen Vettels geparktem Ferrari den Knopf „Virtual Safetycar“ drückte und die Piloten verlangsamen mussten, hatte Lewis Hamilton nun Zeit, um ohne Platzverlust seinen Reifenwechsel (auf die schnellen Soft) nachzuholen. 

Das Ende - Bruchlandung für die Ferrari-Jets

Der gestrandete Vettel-Ferrari war kaum weggeschoben und das Virtual Safetycar wurde aufgehoben, da rutschte George Russell in die TecPro-Barrieren und verursachte eine weitere Safetycar-Phase.  Und was machen die Strategen von Ferrari? Sie holen Leclerc zum erneuten Reifenwechsel rein, wechseln auf Soft und fallen damit hinter Bottas zurück. 
 
Hamilton führt nach Russland mit 322 Punkte die Fahrer-WM an
Hamilton führt nach Russland mit 322 Punkte die Fahrer-WM an © Lukas Gorys
Valtteri Bottas zeigte im letzten Renndrittel, warum ihm Mercedes den Vertrag auch für 2020 verlängert hat: der Finne spielte den gutmütigen Prellbock zwischen Hamilton und dem wütenden Leclerc, der es nicht schaffte, an Bottas vorbei zu fahren. Relativ problemlos und von Bottas abgeschirmt konnte Lewis Hamilton die Führung bis ins Ziel verwalten und schaffte es sogar noch die schnellste Rennrunde zu drehen. 
 
Mit einer Wette auf einen Mercedes-Doppelsieg im Olympiapark hätte man heute viel Geld gewinnen können. Bei Ferrari lief man nach dem Rennen mit hängenden Schultern durch das Fahrerlager. Das Debriefing mit Leclerc und Vettel wird alles andere als gemütlich gewesen sein. Es genügt eben nicht mit einem „Jet-Modus“ (wie Hamilton die Performance von Ferrari bezeichnete) zu fahren. In Russland sind die Ferrari-Jets heute mehr als unsanft gelandet...

Lukas Gorys

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