Bis auf zehn (?!) Journalisten, werden als einzige Medienvertreter zu diesen Geisterveranstaltungen zugelassen
© Lukas Gorys | Zoom

F1 Insider Gorys: Covid19 und der F1-Countdown 2020 - 15 Rennen bis zum Zahltag

Ab Spielberg besteht die Gefahr dass die Formel 1 zur scripted Reality-Show wird. Was sich hinter den elektronisch gesicherten Toren des Formula One Fahrerlagers abspielt (also das, was die Formel1 für ihre Fans so faszinierend macht) bleibt der Öffentlichkeit zukünftig wegen Corona Sorgen verborgen. Damit wird nicht nur den F1 Piloten und der gesamten Formel 1 ein Mund- und Nasenschutz verpasst, hinter dem alle Emotionen und das gesamte Geschehen rund um die Rennen einfach weggefiltert werden, sondern auch uns - den Medien und Berichterstattern. Eine kritische Betrachtung der F1 Saison 2020 ist daher angebracht...

Formel 1... und dann kam Corona

Die Covid19-Pandemie hat die Formel1 komplett aus der Bahn geworfen. Seit 28. Februar ist kein F1-Bolide des Jahrgangs 2020 auch nur einen Meter gefahren, die Welt hatte andere Sorgen. Der 22 Rennen umfassende F1-Kalender 2020 wurde komplett geschreddert. Es hagelte reihenweise Absagen, mangels Einnahmen schickten die Teams ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit und der Kurs der Aktie von F1-Eigentümer Liberty Media „FWONK“ stürzte ab. Wie sehr die Krise die Finanzen der Rennställe erschüttert, zeigt auch dass das legendäre Williams Formel-1-Team zum Verkauf steht und der ebenso legendäre McLaren-Rennstall zunächst 70 Mitarbeiter entliess und jetzt auch Anteile zum Verkauf anbietet.

Das lukrative Geschäftsmodell der Formel 1 (das Liberty 2017 von Bernie Ecclestone bzw. dem Investment-Unternehmen CVC gekauft hatte) steht in Zeiten der Covid19-Pandemie mit dem Rücken zur Wand. Innerhalb weniger Wochen haben sich 100% sicher geglaubte Einnahmequellen der Formel1 in Corona-Luft aufgelöst: Solange das Virus nicht besiegt ist (sei es durch Impfstoffe oder durch Medikamente), werden Grossveranstaltungen mit zigtausend Zuschauern in den meisten Ländern nicht erlaubt werden. Damit verliert die Formel 1 bis auf weiteres eine wichtige Säule ihrer Einnahmen: die millionenschweren Antrittsgebühren, die F1-Rennpromotoren traditionell bezahlen um ein Rennen auszutragen (von denen auch die Teams einen Teil erhalten). Ohne Zuschauer haben Renn-Veranstalter keine Einnahmequelle und als Folge kann niemand mehr ein F1-Rennen finanzieren – es sei denn er erhält staatliche Covid Förderung wie Bahrain oder Abu Dhabi.

Fahrerparade? Abgesagt. Startaufstellung? Nicht mehr in der traditionellen Form, weil zu gefährlich. Podium? Abgeschafft.
© mspb / Lukas Gorys

Geht die F1 wegen Covid19 pleite?

Abschreiben muss der Formel 1 Zirkus auch das äusserst lukrative Geschäft des Paddock-Club: Corona erlaubt keine VIP Gäste, kein schickes Essen und keine exklusive Unterhaltung für eine verwöhnte Klientel im Paddock - das war den Firmen schon mal 4000 bis 5000 Euro pro Ticket wert.
Damit ist der F1 nur noch ein letzter goldener Einnahmetopf übrig geblieben: die TV-Lizenzen und die F1-Sponsoren, die an der Strecke werben (wie Heineken, Pirelli, DHL, Emirates, Rolex, Aramco). Deren Verträge sehen offenbar vor dass mindestens 15 Rennen pro Saison gefahren werden müssen. Wenn nicht, wird die F1 vertragsbrüchig und die TV-Anstalten könnten neu verhandeln. Insgesamt geht es nach Informationen von Insidern um einen Betrag von rund 750 Mio Euro.
Deshalb setzen die Verantwortlichen von Liberty alles daran in diesem Jahr noch mindestens 15 Rennen zu veranstalten. Das funktioniert aber nur indem man das bisherige Geschäftsmodell komplett auf den Kopf stellt und Rennstreckenbesitzern eine Mietgebühr für die Ausrichtung der F1-Rennen bezahlt.

Corona machts möglich: F1 Rennen 2020 nur in Europa?

Ausschliesslich für TV werden F1 Rennen live ohne Zuschauer als „Geisterrennen“ produziert. Damit überhaupt eine reelle Chance gegeben ist in die Nähe der 15 notwendigen Rennen zu kommen, fährt die Formel1 in Spielberg und Silverstone im Juli jeweils zwei Rennen in einer Woche. Wer sich wundert warum im Herbst immer mehr der Überseerennen abgesagt werden (und man jetzt schon nach weiteren europäischen Kursen sucht, auf denen sich noch kostengünstig ein Rennen veranstalten lässt): die Transportpreise für die Luftfracht der Formel1 sind seit dem Corona Virus explodiert und heute um bis zu 300% höher als vor Beginn der Pandemie! Die Konsequenz: die Formel 1 steckt quasi in Europa fest.

Um überhaupt behördliche Zustimmung für F1 Rennen zu erhalten, musste Liberty ein radikales Sicherheits-Konzept entwickeln: Zuschauer und Fans (die diesen Sport seit 70 Jahren gross gemacht haben) bleiben komplett ausgesperrt. Aus dem Fahrerlager verbannt werden sämtliche Hospitality-Paläste der Teams, weil bei den kommenden Rennen keinerlei Gäste erlaubt sind. Pro Team erhalten nur 80 Personen (ungefähr 70% der üblichen Anzahl) Zugang zum Paddock, die sich massive persönliche Einschränkungen gefallen lassen müssen: Mehrere Gesundheits-Checks vor gemeinsamen Charterflügen zu den Rennstrecken, jedes Team im eigenen, Quarantäne-ähnlich abgesicherten Hotel, gemeinsamer Shuttle zu und von der Strecke, Gesundheitschecks vor dem Zutritt zum Paddock, keine Interaktion mit anderen Teams, abends zurück ins Teamhotel, wo man bis zum nächsten Morgen kaserniert bleibt. Und das zweimal drei Wochen lang: zwei Wochen Spielberg und direkt anschliessend Budapest, danach zwei Wochen Silverstone und direkt anschliessend Barcelona.

Für den Fall einer Infektion im Paddock zeigt F1-Boss Chase Carey wenig Empathie: „Die Teams haben ja Ersatzfahrer und wenn Teammitglieder erkranken, haben die Teams auch dafür Ersatz. Die Infektion einzelner Personen wird die Durchführung eines Rennens nicht beeinträchtigen.“ Was Carey nicht näher erläutert: sollte das Virus im Fahrerlager grassieren,besteht zumindest das Risiko, dass die jeweiligen nationalen Gesundheitsbehörden die Veranstaltung absagen.

Sollte das Virus im Fahrerlager grassieren,besteht zumindest das Risiko, dass die jeweiligen nationalen Gesundheitsbehörden die Veranstaltung absagen.
© Lukas Gorys


F1 abgeschottet: Fahrerparade, Podium - nicht während Corona

Deshalb also der Plan so schnell es geht möglichst viele Rennen auszutragen. Aber ist es spannend zweimal in einer Woche in Spielberg zu fahren? Oder in Silverstone? Egal! Die TV-Anstalten bekommen ab 5.Juli in 10 Wochen 8 Formel-1 Rennen präsentiert. Dafür wird nicht nur das Fahrerlager auf den Kopf gestellt, sondern man opfert auch einige traditionelle Bausteine des GP Sonntags. Fahrerparade? Abgesagt. Startaufstellung? Nicht mehr in der traditionellen Form, weil zu gefährlich. Podium? Abgeschafft. Stattdessen sollen die drei Erstplatzierten ähnlich wie nach dem Qualifying auf der Start-Ziel-Geraden interviewt werden.
In sich ist das logisch. Es schaut ja vor Ort eh keiner zu. Bis auf zehn (?!) Journalisten, die als einzige Medienvertreter zu diesen Geisterveranstaltungen zugelassen werden. Diese zehn Glücklichen (normalerweise kommen ca. 400 Medienvertreter zu den GPs!) „dürfen“ vor Ort im Pressezentrum sitzen. Aber auch nur dort. Interaktionen mit Fahrern und Teammitgliedern ist strengstens untersagt. Für Journalisten bringt der Aufenthalt vor Ort damit eigentlich so gut wie gar nichts, denn über was sollen sie berichten? Übers Wetter? Dass Hamilton Schnellster war? Das sehen alle ausgeladenen Medienvertreter auch zu Hause am Bildschirm, genau wie die Fans. Das, was die eigentliche Formel 1 Berichterstattung ausmacht, fällt komplett aus: die zahllosen Randgeschichten, die Gerüchte, die Interviews, eben all das, was Fach-Journalisten vor Ort selbst sehen, hören, spüren und erleben wird unter dem Covid19-Siegel abgewürgt.

Der Corona-Filter wirft Fragen auf...

Und Fotografen? Nur wenige ausgesuchte grosse Agenturen werden zugelassen, die bei weitem nicht all die Bilder liefern können, wie sie von den rund 100 internationalen Foto-Spezialisten üblicherweise produziert werden. Die zugelassenen Fotografen werden alle Hände voll zu tun haben das Standardmaterial zu liefern, das von jedem Training und jedem Rennen (neben der F1 fahren ja auch F2, F3 und Porsche Supercup im Rahmenprogramm) erwartet wird.

Wieso man 90% der Fotografen ausschliesst bleibt eines der Mysterien der Corona-Entscheidungen. Wenn kein Fotograf und kein Journalist ins Fahrerlager reinkommt (was man in der derzeitigen Situation akzeptieren muss) - welches Risiko geht dann von diesen Gruppen aus? Fotografen, die an der frischen Luft um die Strecke laufen und nach dem Training oder Rennen im Mediacenter (Luftlinie mindestens 200 Meter vom Paddock entfernt) am PC ihre Bilder verschicken stellen kein Ansteckungsrisiko für die Formel 1 dar. Journalisten, die im gleichen Raum ebenfalls Luftlinie 200 Meter vom Paddock entfernt auf Bildschirme starren und Rundenzeiten analysieren, ebenso wenig.

Also warum dieser Ausschluss der Öffentlichkeit? Ohne unabhängige Presse und mit vor-ausgewählten Bildern fehlt die gewohnte Transparenz im Paddock. Dazu ein Beispiel: würde der Ferrari-Teamfotograf (der mit dem Team reist und Zugang zur Ferrari-Box hat) ein Bild veröffentlichen wenn –hypothetisch natürlich!- Sebastian Vettel Ferrari-Teamchef Binotto in Spielberg den Vogel zeigt? Wohl kaum. Unter "Normalität" hätten aber mindestens 5 Fotografen vor der Box diesen tollen Schnappschuss, und die Formel1-Medien damit ihre Story des Tages...

Ab dem ersten live-Rennen der F1 in Spielberg besteht also die Befürchtung dass die Formel 1 zur vorgefertigten Reality-Show wird. Das, was die Formel 1 für ihre Fans so faszinierend macht, wird uns wegen Corona Sorgen nicht mehr geliefert. Der Mund- und Nasenschutz versteckt alle Emotionen, das interessante Geschehen rund um die Rennen wird einfach weggefiltert. Das hätte man besser austüfteln können...

Lukas Gorys