Das Formel-1-Reife(n)zeugnis des SID: Sotschi

Oft genug hatte Sebastian Vettel sich in dieser Saison sein Loch selbst gegraben, und auch in Sotschi machte er sich erstmal das Leben schwer.

Singapur (SID) - SEBASTIAN VETTEL: Oft genug hatte Sebastian Vettel sich in dieser Saison sein Loch selbst gegraben, und auch in Sotschi machte er sich erstmal das Leben schwer. Die schwachen Leistungen im Training und im Qualifying machten keinen Mut, Charles Leclerc wirkte mal wieder unantastbar. Am Rennsonntag zog er sich dann aber am eigenen Schopf aus diesem Loch - zumindest tat er alles dafür. Ein toller Start und eine tolle erste Rennhälfte lieferte Vettel ab und war in dieser Phase eindeutig schnellster Mann im Feld. Es wirkte endlich, als werde er nicht mehr gehemmt durch die starke Konkurrenz im eigenen Team. Sondern als nehme er den Kampf an. Und damit konnte Vettel einem am Ende beinahe leidtun. Der unwürdige Umgang des Teams mit der Doppelführung bremste ihn ein, und dann beendete ein Antriebsschaden dieses vielversprechende Rennen. Das Jahr 2019 hält schier unendlich viele Rückschläge bereit für Vettel.

CHARLES LECLERC: Der junge Monegasse hinterlässt eigentlich stets einen guten Eindruck. Am Lenkrad sowieso, doch auch vor und nach den Rennen analysiert Leclerc die Lage stets charmant, selbstbewusst und wohlüberlegt, auf Englisch, Italienisch und Französisch. Zweimal in Folge zeigte er jetzt aber auch ein weniger cooles Gesicht. In Singapur und Sotschi beschwerte Leclerc sich nicht nur einmal via Funk über vermeintliche Ungleichbehandlung durch das Team, er diskutierte und lamentierte ausdauernd - und zeigte, dass er vielleicht doch (noch) nicht dieser reife Fahrer ist. Ein Ausnahmetalent ist Leclerc ohne Zweifel, aber in diesen Situationen stand er sich selbst im Weg.

FERRARI: Es hat noch nicht so richtig gekracht bei Ferrari, zumindest nicht nach außen sichtbar. Aber die Spannungen, die aus dem Zweikampf zwischen Vettel und Leclerc entstehen, sind sichtbar. Vettel fühlte sich in Monza durch den Rivalen benachteiligt, Leclerc hängt noch immer der durch eine Teamentscheidung verlorene Sieg in Singapur nach. In Sotschi gab es nun eine Absprache, die den Doppelsieg ermöglichen sollte. Die Taktik am Start funktionierte blendend - doch dann beharrten beide Piloten jeweils darauf, Anspruch auf die Führung zu haben. Das Team moderierte diese Uneinigkeit nur zögerlich, ein Machtwort wurde nicht gesprochen. Da Ferrari mittlerweile wirklich das beste Paket hat, dürfte es auch in den kommenden Wochen um Siege gehen zwischen den beiden Alpha-Tieren. Und dann ist der erste laute Knall wohl nur eine Frage der Zeit.

LEWIS HAMILTON: Der Weltmeister war seit der Sommerpause ein Fall für die Kategorie "Was macht eigentlich ...?" Beinahe unbemerkt fuhr er im Schatten der plötzlich erstarkten Ferraris herum, kam dabei beinahe unbemerkt seinem sechsten WM-Titel immer näher. Und fast ebenso unbemerkt fuhr er nun in Sotschi zum Sieg, denn alles schaute am Sonntag darauf, wie Ferrari sich selbst schlug - Hamilton wird das egal sein. Mercedes konnte in Russland nur abstauben, und genau das taten die Silberpfeile mit ihrem Doppelsieg maximal. Nach fast zwei Monaten ohne Erfolg geht das Werksteam jetzt deutlich entspannter in die letzten fünf Saisonrennen. Hamiltons erneuter Titelgewinn steht sowieso nicht mehr infrage.

SPRUCH DES WOCHENENDES: "Bringt die verdammten V12-Motoren zurück." (Ferrari-Pilot Sebastian Vettel gleich nach seinem Aus in Sotschi im Boxenfunk. Das Hybrid-System an seinem Antrieb war defekt - und Vettel ist ja ohnehin ein Freund der reinen Verbrennungsmotoren.)

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