Aerodynamisch geformte Kunststoffeinleger ermöglichen den Audi Raddesignern neue gestalterische Möglichkeiten
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Raddesigner Andreas Valencia Pollex erfindet für die Elektromobilität das Rad für Audi neu

Herr Valencia Pollex, Elektromobilität birgt besondere Anforderungen an das Design und die Aerodynamik. Einerseits kann Design neu gedacht werden. Andererseits werden die Räder größer, weil sie mehr Last tragen müssen. Große Räder sind aerodynamisch jedoch eine Herausforderung. Wie lösen Sie als Audi Designer diesen Spagat?

In erster Linie ist ein Rad ein sicherheitsrelevantes Bauteil. Alle Kräfte, die ein Auto erzeugt, werden durch die Rad-Reifen-Konfiguration auf die Straße übertragen. Anders als ein Bauteil des Fahrwerks ist das Rad jedoch sichtbar nach außen. Wir Raddesigner kreieren also etwas, was den technischen Anforderungen genügt und dennoch das Design des Fahrzeugs unterstreicht. Dazu kommt jetzt: Beim Elektrofahrzeug ist die Energiebilanz entscheidend. Der Fokus hat sich dementsprechend verschoben. Früher mussten Räder quasi nur Festigkeitsanforderungen standhalten. Heute entwickeln und designen wir konsequent intelligente Aeroräder, die möglichst effizient sind. Denn das hat einen großen Einfluss auf die Reichweite eines Elektrofahrzeugs.
 
Was zeichnet ein optimales Aerorad aus?
 
Das perfekte Zusammenspiel von Fahrzeugkörper, Reifen und Felge – und der Position des Rads im Radhaus. Für perfekte Aerodynamik benötigen wir eine gewisse Flächigkeit, damit die Luft, die von vorn auf das Auto trifft, ohne starke Verwirbelungen an der Seite um den Fahrzeugkörper herumgeleitet wird. Das Paradoxe dabei: Flächigkeit zu erzeugen ist beim Rad immer aufwendig. Eine geschlossene Fläche bedeutet mehr Material, und im Falle von Aluminium verursacht das einen gewissen Gewichtszuwachs. Daher verwenden wir bei den Rädern für den Audi e-tron GT quattro Kunststoff, um diese Flächen zu verschließen. So bleibt das Rad leicht. Dann kommt noch dazu: Wie überall in der Energiegleichung spielt die Geschwindigkeit eine große Rolle. Bereiche, die sich schnell bewegen, bewirken aerodynamisch mehr als Bereiche, die sich weniger schnell bewegen. Die Radmitte kann also vernachlässigt werden. Bei den äußeren Bereichen eines Aerorads hat man aerodynamisch eine große Hebelwirkung. Kurz gesagt: Es ist sehr komplex.

“ Für uns Radgestalter öffnet sich gerade ein neues Universum. ”  Andreas Valencia Pollex
“ Für uns Radgestalter öffnet sich gerade ein neues Universum. ”  Andreas Valencia Pollex
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Warum setzen Sie nicht einfach eine flächige Radverblendung auf das Rad?
 
Die Erwartung unserer Kunden, die sich ein schönes Premium-Fahrzeug kaufen, ist absolute Funktionalität, aber eben auch kompromisslose Ästhetik. Bei Rädern wird platte, extreme Flächigkeit noch nicht als etwas Schönes akzeptiert. Unser Anspruch ist, eine Ästhetik zu finden, die die neue Art der elektrischen Mobilität transportiert und die Verbindung zur Erwartungshaltung unserer Kunden bewahrt. Man kann auch rein technisch gesehen keine komplett geschlossenen Räder einsetzen. Wenn man der Bremse keine Luft zum Atmen lässt, würde irgendwann die Bremsflüssigkeit kochen, was ein sicherheitsrelevantes Problem wäre. Es muss eine gewisse Belüftung geben. Aerodynamisch ist es uns bei diesem Rad des Audi e-tron GT quattro dennoch gelungen, eine Geometrie auszutarieren, bei der es plötzlich keinen Unterschied mehr macht, ob die Luft über alle Winkel und Öffnungen hinwegstreicht oder ob die Fläche komplett geschlossen wäre.
 
Die Luft wird durch die Öffnungen nicht verwirbelt?
 
Nein. Zusammen mit unseren Aerodynamikern haben wir genau den Sweetspot gefunden, dass die Bremse noch atmen kann und die Luft so gut geleitet strömt, als wäre die Fläche geschlossen. Die Luft kann in der Geschwindigkeit, in der sie das Rad durchströmt, nur so reagieren, wie die Physik es ihr vorgibt. Aerodynamisch ist dieses Rad des Audi e-tron GT quattro absolut State of the Art.
 
Das Grundgerüst des Aerorads ist weiterhin aus Aluminium? Kunststoff wird nur bei den Elementen der Verkleidung verwendet?
 
So ist es. Wenn man das Rad von innen betrachtet, erkennt man fünf gerade laufende Speichen, die größtmögliche Stabilität erzeugen. Das Material Aluminium ist weiterhin essenziell bei Rädern. Die technischen Eigenschaften von Aluminium wie Plastizität und Festigkeit verändern sich nicht. Aluminium ist auch widerstandsfähig gegenüber der großen Hitze, die die Bremse im Inneren des Rads erzeugt. Aber ein klassisch gestaltetes Fünf-Speichen-Rad hätte fast keine aerodynamische Wirksamkeit. Und die Flächigkeit mit Aluminium zu erzeugen, hätte ein zu schweres Rad ergeben. Es stellte sich im Laufe der Entwicklung heraus, dass wir Kunststoffeinleger benutzen, um die Fläche zu schließen. So wird das Rad besonders leicht. Beim Kunststoff wiederum ist die Materialseite sehr interessant: Herauszufinden, welcher Kunststoff an welcher Stelle die Hitze der Bremse verträgt. Der Aufwand, so ein leichtes Rad zu gestalten, ist sehr groß und kaum zu vergleichen mit einem industrialisierten Aluminiumrad.
 
Wie sind Sie an das Design dieses Rades herangegangen?
 
Ein progressives Design war oberste Priorität. Man beginnt ein Rad zu skizzieren, das schon mit einer gewissen Flächigkeit spielt, damit sich nicht von vornherein große Fehler einschleichen. Aber dann war es das perfekte Zusammenspiel mit den Kollegen der Fertigung, der Produktion und der Aerodynamik, das das Rad zu diesem Konstrukt entwickelte. Nur ein Beispiel: dieses zentrale zweiteilige Kunststoffteil, das die Flächigkeit erzeugt und wie ein Flügel aussieht. Zwei Bauteile werden aufeinandergeclipst und dann gemeinsam am Rad an einer anderen Geometrie verschraubt. Wir wollten es unbedingt zweifarbig haben. Anfangs war der helle Teil aus Aluminium, aber das ergab ein zu hohes Gewicht. Entsprechend mussten wir dafür einen Kunststoff wählen – den wir wiederum mit einer Farbe präzise lackierten. Wir wollten nicht versuchen, glanzgedrehtes Aluminium nachzuahmen. Die Präzision, die wir aufwenden, dieses Bauteil sowohl gestalterisch progressiv als auch konstruktiv haltbar in allen Fahrzuständen bei allen Witterungsbedingungen umzusetzen, geht nur im Zusammenspiel aller Gewerke.

Das komplexe, mehrfarbige Aerorad des Audi e-tron GT quattro. Die teilweise Abdeckung mit Kunststoffeinlegern erreicht die identische aerodynamische Effizienz, als wäre die Fläche komplett geschlossen.
Das komplexe, mehrfarbige Aerorad des Audi e-tron GT quattro. Die teilweise Abdeckung mit Kunststoffeinlegern erreicht die identische aerodynamische Effizienz, als wäre die Fläche komplett geschlossen.
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Kunststoff spart also nicht nur Gewicht, sondern ermöglicht Ihnen als Designer auch neue Gestaltungsmöglichkeiten?
 
Mit der Verwendung von Kunststoff ergibt sich eine neue Dimension. Ich musste bei der Gestaltung von Rädern bisher physikalisch und konstruktiv bedingt immer gewisse Kantenradien berücksichtigen. Zeichne ich zu scharfe Kanten, konzentrieren sich die Kräfte dort, und ein Aluminium-Bauteil bricht genau dort. Das ist mit Kunststoff jetzt anders. Ich kann plötzlich extrem präzise Details zeichnen wie diese Textur, die davor einfach nicht möglich war. Und die Designabteilung „Colour and Trim“ stellte uns Lacke vor, die ich bis dato noch nicht kannte. Für uns Radgestalter öffnet sich gerade ein neues Universum.
 
Was zeigt die Audi DNA in diesem Raddesign?
 
Im Grunde genommen ist die Audi DNA in jedem Winkel des Rades zu finden. Jedes Detail strahlt Designqualität aus: die Straffheit, die exakte Auswahl der Winkel, die Ausgewogenheit von Linien, die zueinanderfinden über einen Radius. Der designaffine Betrachter wird diese Designqualität wiederfinden. Derjenige, der sich mit Design im Detail nicht auskennt, erfährt eine gewisse Ruhe, weil er nichts findet, was ihn im negativen Sinne stört, sondern vielleicht nur anreizt. Das ist Audi DNA. Das ist Designqualität. Zu der Zeit, als wir das Rad gestaltet haben, ging es darum, den Audi e-tron GT quattro möglichst progressiv, elektrisch, modern und scharf geschnitten aussehen zu lassen. Das findet man alles in dem Rad wieder.
 
Welche gestalterische Besonderheit würden Sie bei diesem Audi e-tron GT quattro Rad hervorheben?
 
Wenn man etwas besonders Progressives herausheben will, ist es die Verdrehung der Speichen. Diese Verdrehung akzentuieren wir, weil sie das gelernte ästhetische Bild durchkreuzt. Damit erscheint das Rad neu und modern. Der Mensch gewöhnt sich mit der Zeit an eine gewisse Sichtweise – auch wenn er nicht weiß, warum er sich daran gewöhnt oder an was er sich gewöhnt. Und diese Gewöhnung muss man durchbrechen. Das kann natürlich auch polarisieren. Aber wenn man bei diesem Bruch mit Ästhetik dagegenhält, erreicht man ein Empfinden von Modernität. In diesem Fall ist es das Zusammenspiel zwischen dem, was man sehen will, also konzentrische Speichen, aber eben mit einer Verdrehung, die man eher im Hintergrund wahrnimmt, sodass sie eben nicht polarisiert. Dazu kommt Textur, die in den letzten Jahren eine starke und sehr moderne Entwicklung in der Designwelt erlebt. Bei Audi sind diese sich wiederholenden Striche Gestaltungsmerkmal einer elektrischen Designsprache. Sie finden sich unter anderem in der Lichtsignatur des Audi e-tron und jetzt eben auch im Raddesign. Die Mehrfarbigkeit des Audi e-tron Rades zeigt darüber hinaus eine gewisse optische Komplexität. Und wie bei einem sichtbaren Uhrwerk einer hochwertigen Uhr, das man als Laie nicht wirklich versteht, wirkt, was komplex aussieht, begehrlich. Genauso ist es auch bei diesem Rad. Man erkennt, es ist zu einem Ganzen zusammengesteckt, und jedes einzelne Bauteil ist ganz selbstverständlich Teil von etwas Größerem.
 

Audi Media / DW