Norbert Singer, Timo Bernhard
© Porsche AG | Zoom

Erinnerungen an Le Mans: Timo Bernhard spricht mit Norbert Singer

Im Vorfeld des anstehenden 24-Stunden-Rennens von Le Mans lassen der ehemalige Werksfahrer und der einflussreiche Ingenieur mehrere Jahrzehnte auf dem Circuit des 24 Heures Revue passieren.

Norbert Singer war wesentlich an den Porsche-Rennerfolgen des vergangenen Jahrhunderts beteiligt. So arbeitete er am Porsche 917, 936, 956 sowie 962 und trug zu 16 Gesamtsiegen in Le Mans bei. 2004 setzte er sich zur Ruhe, doch bleibt er dem Motorsport eng verbunden. So lässt er es sich beispielsweise nicht nehmen, jedes Jahr das 24-Stunden-Rennen von Le Mans zu besuchen.
 
Timo Bernhard © Porsche AG
Timo Bernhard hat seine Karriere bei Porsche vor mehr als 20 Jahren begonnen. 2002 nahm er erstmals am Rennen in Le Mans teil. Als Fahrer des 919 Hybrid holte er 2017 den Sieg für Porsche und war Teil des Teams, das zweimal die Langstrecken-Weltmeisterschaft gewann. 
 
In der zweiten Folge des Porsche-Podcasts „9:11“ sprechen die beiden Routiniers über die enge Verbindung der Marke mit Le Mans und sie diskutieren darüber, was dieses Rennen so besonders macht.
 
 
Norbert Singer: „Es bestand schon immer eine Verbindung zwischen Le Mans und Porsche. 1951 ging die Firma erstmals an den Start, also nur kurz nach Gründung des Unternehmens. Ferdi Porsche entschied in weiser Voraussicht, dass wir dort teilnehmen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollten. Es hat geklappt.“
 
Timo Bernhard: „Als ich im Motorsport anfing, war die Legende um Le Mans und Porsche bereits geboren. Deine Generation hat sehr viel dazu beigetragen. Ich persönlich wollte schon immer mit Porsche in Le Mans fahren, denn das ist ganz einfach das herausforderndste Rennen für einen Fahrer: wegen der Geschwindigkeit, der Distanz über 24 Stunden und der sehr langen Abschnitte auf öffentlichen Straßen.“
 
Singer: „Die Rennstrecke ist wirklich sehr lang, und auch sehr schnell, was den besonderen Eigenschaften eines Porsche sehr entgegenkommt. Für Le Mans braucht man mehrere Dinge: zunächst einmal ein zuverlässiges Fahrzeug, mit dem man 24 Stunden fahren kann, und dann sollte es eine gewisse Grundgeschwindigkeit mitbringen. Das heißt nicht, dass man irgendwo um den 30. Platz herumfährt, aber Platz 14 reicht im Qualifying aus. So wie vor 50 Jahren. Bei diesem Rennen ist die Position in der Startaufstellung tatsächlich am wenigsten interessant. Das ist nicht wie bei einem Grand Prix, wo es darum geht, auf der Poleposition zu starten, durchzufahren und dann zu gewinnen. Le Mans ist etwas ganz anderes. Man muss konstant fahren und darf sich keine Fehler erlauben.“
 
Le Mans 2017: Brendon Hartley, Timo Bernhard und Earl Bamber (l-r) mit dem 919 Hybrid © Porsche AG
Bernhard: „Ja, um als Erster ins Ziel zu kommen, muss man das Ziel überhaupt erst einmal erreichen. Mein Traum war es, mit Porsche in Le Mans den Gesamtsieg zu holen. Daher war es 2017 ein Schock für mich, als der Wagen nach drei Stunden rückwärts in die Boxengasse geschoben wurde. Aber als er nach 56 Minuten wieder rausfuhr, hörten wir über das Radio, wie Brandon Hartley sagte, „Fühlt sich so an, als wäre das Auto in Ordnung“. Da hatten wir wieder etwas Hoffnung. Wir konnten das Tempo halten und gaben alles. Es kann immer etwas passieren, aber wir sind fokussiert geblieben. Man konzentriert sich auf seine Aufgabe und sonst nichts. Wir dachten, es wäre vorbei, und dann erreichten wir endlich unser Ziel. Als ich über die Ziellinie fuhr, war das ein sehr ergreifender Moment.  Diese Emotionen werde ich niemals vergessen.“
 
Singer: „Das war bei mir ganz ähnlich. Die besten Rennen waren stets die, bei denen es zunächst keine Probleme gab und alles nach Plan lief, Boxenstopps und so weiter. Und je länger sie liefen, desto nervöser wurde ich. Wenn es eine Reifenpanne kurz vor der Boxengasse gab, eher zu Anfang des Rennens, dachte ich, jetzt haben wir das hinter uns, jetzt können wir normal fahren. Man ist bis zum Ende angespannt, und wie wir 2016 gesehen haben, kann die Führung auch noch in der letzten Runde wechseln. Das ist eine riesige Enttäuschung, gehört aber einfach dazu. Wenn man dann wieder gewinnt, freut man sich doppelt.“
 
Norbert Singer und Dr. Wolfgang Porsche (l-r) © Porsche AG
Bernhard: „Absolut. Als Fahrer ist man in Le Mans immer im Rennen, auch wenn man gerade nicht fährt. Soll heißen, zu keinem Zeitpunkt kann man abschalten oder mal richtig runterkommen. Da merkt man, wozu der eigene Körper auch mit wenig Schlaf in der Lage ist. Wir haben in der zweiten Hälfte des Rennens genau die gleichen Zeiten erreichten wie am Tag zuvor. Das fand ich immer erstaunlich.“
 
Singer: „Wir haben immer gesagt: Um 6 Uhr morgens, wenn es wieder hell wird, ist Geisterstunde. Weil es genau das ist: Man muss sich weiterhin voll konzentrieren, und es gibt Fahrer – ich meine, dort fahren schließlich 40 oder 50 Autos –, die weniger konzentriert sind, und da passieren dann die dümmsten Unfälle. In Le Mans ist vieles Glückssache oder eben Pech. Le Mans funktioniert nicht nach dem Motto: „Wir gehen da jetzt raus und gewinnen.“ Da spielen so viele Aspekte eine Rolle, die man nicht kontrollieren kann.“
 
Norbert Singer, Jacky Ickx und Helmuth Bott (l-) in Weissach im Jahr 1982 © Porsche AG
Bernhard: „Dr. Wolfgang Porsche sagte bei unserer ersten Teilnahme mit dem 919 im Jahr 2014: „Trotz all der Vorbereitungen geht es nicht ohne das notwendige Quäntchen Glück!“ 2017 hatten wir dieses Quäntchen Glück, aber 2014 flogen wir zwei Stunden vor dem Ziel mit einem Motorschaden raus. Ich denke immer, dass man sich nicht zu sehr auf das Endergebnis versteifen sollte. Man versucht einfach, seine beste Leistung abzuliefern und nimmt die Platzierung an, die man am Ende erreicht. Erst danach versucht man, alles zu analysieren.“

Porsche AG / SK