Die Nordschleife ist weltweit einzigartig
© Nürburgring | Zoom

Formel 1 und die Grüne Hölle am Nürburgring: Schilda, Utopia und die Pleite vom Nürburgring

(Speed-Magazin / Lukas Gorys) Die Eifel ist Deutschlands Antwort auf das russische Sibirien. Jeder, der schon einmal dort ein Formel 1 Rennen oder ein anderes Motorsport-Event besucht hat, wird dies bestätigen. Keine Frage – auch in der Taiga gibt es schöne Tage, blühen die Blumen und wachsen die Bäume. Realisten wissen jedoch, dass es noch immer Sibirien ist und eben nicht eine vom Klima begünstigte Mittelmeer-Insel, auf der Millionen Touristen gerne von Januar bis Dezember freiwillig Urlaub machen. Nach nur drei Jahren Erlebniswelt Nürburgring mit dem Eifeldorf Grüne Hölle ist die Pleite näher als der Zuschauer und erlebnisbegeisterte Fan...

Der Nürburgring ist in den 1920er Jahren gebaut worden, um in der bitterarmen Eifelregion ein paar Arbeitsplätze zu schaffen. Entstanden ist eine der beeindruckendsten Rennstrecken der Welt, die ihre Faszination unter anderem auch dem schlechten und

Die Eifel ist Deutschlands Antwort auf das russische Sibirien
Die Eifel ist Deutschlands Antwort auf das russische Sibirien
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niemals vorhersehbaren Wetter verdankt. Deutschland mag im Sommer unter einem noch so heissen Hoch stöhnen (die Älteren werden sich noch an das Gefühl erinnern...), trotzdem kann in der Eifel zur gleichen Zeit ein eisiger Wind pfeifen, das Thermometer sich bei 9 Grad einpendeln und die Besucher müssen sich mit klammen Fingern am heissen Glühwein-Becher festhalten.

Es gibt genügend Formel 1 und Motorsport Fans in Deutschland und Europa, die sich selbst unter widrigen Umständen an den Nürburgring aufmachen, um auf ihrer Lieblingsrennstrecke entweder selbst ein paar Runden zu drehen oder Rennfahrern dabei zuzusehen. Der Mythos Nürburgring lebt, auch wenn er zu 95% von der legendären Nordschleife ausgeht, die weltweit einzigartig ist.

Deshalb hat der Nürburgring seine Berechtigung und verdient auch die Unterstützung der Politik.

Was aber in den Jahren 2007 bis 2009 als Erweiterung entstanden ist, konnte nicht funktionieren. Die Erlebniswelt Nürburgring mit zwei Hotels und einem Ferienpark, dem "Eifeldorf Grüne Hölle" mit einer Gross-Disco und acht Restaurants, einem Spielcasino, einem Event-Center, einer Mehrzweckhalle sowie einem ganzjährigen Erlebnispark mit der schnellsten Achterbahn der Welt, war eine Mischung aus Schilda und Utopia. Das konnte nur jemand planen, der die Faszination der Nordschleife nicht verstanden hat. Es sollten neue Zielgruppen in die Eifel gelockt werden. Von 500 neuen Arbeitsplätzen war die Rede. Finanziert von privaten Investoren. Die allerdings sprangen ab, bevor nur ein Euro geflossen ist.

Erlebniswelt Nürburgring litt von Beginn an unter mangelnden Besucherzahlen
Erlebniswelt Nürburgring litt von Beginn an unter mangelnden Besucherzahlen
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Kein Wunder. Egal wie voll die Taschen eines Investors sind, wer mit sehenden Augen betrachtete was hier in welcher Umgebung geplant wurde, musste dankend ablehnen. Ministerpräsident Kurt Beck, als SPD-Mann und Chef einer rot-grünen Landesregierung nicht unbedingt ein Freund der Formel 1 und des Motorsports, liess sich von den fehlenden Investoren nicht abschrecken, sondern finanzierte das Millionengrab begeistert mit deutschen Steuermitteln. „Der neue Nürburgring ist eine grosse Chance für die Eifelregion und das ganze Land", sagte Beck beim offiziellen Festakt 2009. „Ich werde nicht zulassen, dass diese grosse Chance kaputtgeredet wird."

Weil man kurz vor der Eröffnung wohl merkte, dass die Attraktivität dieses Freizeitparks Utopia kein Selbstläufer ist, wurde als Botschafter Boris Becker verpflichtet. Der gute Boris. Was hat ein ehemaliger Tennisspieler mit dem Nürburgring zu tun? Hat Deutschland keine verdienten Ex-Rennfahrer? Keinen Hans Stuck, dessen Vater hier schon in den 30er Jahren fuhr? Aber egal. Die Bilder von Boris in der schnellsten Achterbahn der Welt waren beeindruckend. Es blieb allerdings die letzte Fahrt der Achterbahn. Die technischen Probleme der Schilda-Bahn hat man bis heute nicht im Griff. Der TÜV hat bis heute keine Freigabe erteilt. Was macht auch eine Achterbahn direkt neben der Startgeraden einer Formel 1-Rennstrecke? Am Spielfeldrand der Allianz Arena in München hat auch niemand Europas lustigste Hüpfburg installiert. Und direkt neben dem Center Court von Wimbledon steht merkwürdigerweise noch immer nicht Europas höchster Bungee-Kran.

Die Erlebniswelt Nürburgring litt von Beginn an unter mangelnden Besucherzahlen. Es sollten ja vor allem ganzjährig Gäste angelockt werden, die unabhängig von Formel 1 Rennen und anderen Motorsportevents in die Eifel kommen. Ganz ehrlich: auf einen Gletscher kommen keine Leute, die gerne am Meeresstrand Sandburgen bauen und schwimmen möchten. Auf den Gletscher

Der Nürburgring ist in den 1920er Jahren gebaut worden
Der Nürburgring ist in den 1920er Jahren gebaut worden
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kommen Bergsteiger und die kommen ohne Gletscherdorf „Kalte Hölle“ mit angeschlossener Achterbahn. An den Nürburgring kommen Racer aus ganz Europa. Das Eifeldorf Grüne Hölle brauchen diese Fans nicht. Sie stehen lieber am Schwalbenschwanz, Brünnchen, Bergwerk oder am Karussell und essen eine Bockwurst. Denn dort spielt ihre Musik.

Drei Jahre nach der Eröffnung des Freizeitparks Utopia stehen die Zeichen am Nürburgring jetzt auf Insolvenz. Auf den rund 300 Millionen Euro Schulden bleiben am Ende die deutschen Steuerzahler sitzen. Die legendäre Nordschleife wird auch dies unbeschadet überstehen. Denn diese 23 Kilometer durch eine rauhe Landschaft sind ein Selbstläufer. Weil von ihnen eine Faszination und Historie ausgeht, die ein künstliches Eifeldorf niemals haben könnte.

- Hier gibt es zur Nürburgring-Pleite noch pikante Details -

Lukas Gorys