GP Brasilien steht wieder einmal komplett im Fokus der WM-Entscheidung
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Formel 1 GP Brasilien Gorys Vorschau: F1 WM-Entscheidung 2012 zwischen Vettel und Alonso im Elendsviertel von Sao Paulo

(Speed-Magazin / Lukas Gorys)   Die längste Formel 1 Saison aller Zeiten geht mit ihrem 20. Rennen am kommenden Wochenende in Sao Paulo (Brasilien) zu Ende. Und bis jetzt ist noch nicht klar, wie der Formel 1 Weltmeister 2012 heisst. WM-Leader Red Bull Sebastian Vettel hat nach dem GP USA am vergangenen Sonntag zwar 13 Punkte Vorsprung auf seinen Ferrari Konkurrenten Fernando Alonso. Der Spanier allerdings predigt seit Wochen, dass er auf dem Kurs von Interlagos Vettel schlagen kann. Vettels Red Bull Teamkollege Mark Webber warnt ebenfalls: „In Interlagos ist wegen der unsicheren Wetterverhältnisse alles möglich.“

In der Tat: Das Wetter scheint wie schon in Formel 1 Rennen zuvor, sehr extrem zu werden. Für Freitag werden in Sao Paulo weit über 30° C erwartet. Die schwüle Hitze entlädt sich hier traditionell in heftigen Gewittern.

Bis jetzt ist noch nicht klar wie der Formel 1 Weltmeister 2012 heisst
Bis jetzt ist noch nicht klar wie der Formel 1 Weltmeister 2012 heisst
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„Chuva“, der gefürchtete Regengott der Brasilianer, hat schon so manches F1 Rennen (oder auch Qualifying) komplett durcheinander gewirbelt. Wer erinnert sich nicht an die Ausfallorgie 2003, wo viele der Piloten über eine Wasserlache nach dem Senna-S stolperten und in die Reifenstapel flogen. Oder 1993, als Alain Prost in einem Regenschauer hilflos in der ersten Kurve ins Aus rutschte.

Schon die Anfahrt zur Formel 1 Strecke Autodromo Jose Carlos Pace in Sao Paulos Stadtteil Interlagos ist abenteuerlich: Vorbei an heruntergekommenen Baracken und einem der berüchtigsten Elendsviertel zeigen sich sofort die Gegensätze Brasiliens: der Reichtum der Oberschicht, die sich den Besuch eines Formel 1 Rennens leisten kann und die Armut in den Favelas rund um die eigentlich malerisch gelegene Rennstrecke. Deren Zufahrtswege sind so gefährlich, dass sich viele F1 VIPs nur in gepanzerten Limousinen auf die Strasse wagen. Allein im vergangenen Monat wurden angeblich 90 Polizisten erschossen, die den Kriminellen auf den Strassen Sao Paulos den Kampf angesagt hatten.

Interlagos - übersetzt „zwischen den Seen“ - ist einer der Klassiker in Ecclestones Formel 1 Kalender. Die Rennstrecke, die den Zuschauern eine fantastische Übersicht bietet, wurde schon in den 30er Jahren erbaut. In den frühen 70er Jahren kam die Formel 1 erstmals nach Brasilien und die grosse Zeit der brasilianischen F1 Weltmeister Emerson Fittipaldi, Nelson Piquet und Ayrton Senna begann. Fittipaldi und Senna stammten aus Sao Paulo und wurden entsprechend geliebt. Piquet kommt aus Rio de Janeiro, weshalb er in Interlagos nicht gerade beliebt war. Die beiden Städte sind in ewiger Feindschaft miteinander verbunden. „Sao Paulo arbeitet, Rio faulenzt“ heisst es in Sao Paulo. Die Einwohner von Rio schwören andererseits: „wir fangen sofort an zu arbeiten, wenn die Christus-Statue (die über die Stadt wacht) in die Hände klatscht!“

Vettel hat 13 Punkte Vorsprung auf seinen Konkurrenten Alonso
Vettel hat 13 Punkte Vorsprung auf seinen Konkurrenten Alonso
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Interlagos ist sicherlich nach Monza die Formel 1 Strecke mit der besten Stimmung, denn die Fans feuern hier ihre Helden mit Gesängen und Sambatrommeln an. Die Infrastruktur des Kurses ist jedoch arg in die Jahre gekommen und eigentlich nicht mehr Formel 1 würdig. Heute muss man sagen, dass das Fahrerlager in Sao Paulo das schlechteste des ganzen Jahres ist. Aber F1 Supremo Bernie Ecclestone hält am GP Brasilien in Sao Paulo fest, weil in dieser Wirtschaftsmetropole das meiste Geld in ganz Südamerika verdient wird. Entsprechend kann sich Sao Paulo die hohen Antrittsgelder der Formel 1 leisten. Und für die kommenden Jahre hat der Veranstalter versprochen ein komplett neues Fahrerlager zu errichten und Start/Ziel auf die Gegengerade zu verlegen, wo sich genügend Platz für die modernen Fahrerlager-Tempel der Formel 1 befindet.

Der GP Brasilien 2012 steht wieder einmal komplett im Fokus der WM-Entscheidung. 25 Punkte werden für einen Sieg vergeben. Das bedeutet: Wenn Fernando Alonso gewinnt, muss Sebastian Vettel mindestens Vierter werden. Bleibt Vettel allerdings punktelos, reicht Alonso schon ein dritter Platz zum Titel. Angesichts der guten Performance der vergangenen Rennen müsste Red Bull auch der Kurs von Interlagos liegen. Sorge bereitet Vettels Team jedoch die Zuverlässigkeit. In Austin, auf dem fantastischen Circuit of the Americas, fiel Vettels Teamkollege Mark Webber erneut mit einer defekten Lichtmaschine aus. Vettel selbst ist in Valencia und Monza Opfer der defektanfälligen Lichtmaschine seines Red Bull geworden. Bis zum kommenden Wochenende wird man den Fehler (den Renault und Red Bull jetzt schon seit Juni (!) suchen sicherlich nicht finden. Es bleibt nur Daumen drücken, dass Vettel von einem erneuten Defekt verschont bleibt.

Sollte der Deutsche am kommenden Sonntag seinen WM-Titel von 2010 und 2011 verteidigen, wäre er der erste Fahrer in der Geschichte der Formel 1, der seine drei ersten WM-Titel hintereinander erobern würde. „So etwas solltet Ihr mir gar nicht erst erzählen“, winkt Vettel, auf solche Rekorde angesprochen, immer ab.
Interlagos ist einer der Klassiker in Ecclestones Formel 1 Kalender
Interlagos ist einer der Klassiker in Ecclestones Formel 1 Kalender
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Der Heppenheimer hört es nicht so gerne, aber er ist der Rekord-Mann der Formel 1: der jüngste Fahrer mit einem WM-Punkt, der jüngste Fahrer auf Pole Position, der jüngste GP Sieger, der jüngste Weltmeister der Geschichte. Niki Lauda ist mittlerweile davon überzeugt, dass Vettel auf dem Wege ist, Michael Schumachers F1-Rekorde (91 GP Siege, 7 WM-Titel) zu brechen.

Apropos Schumacher: Er wird in Sao Paulo am kommenden Sonntag seinen 308. und letzten Formel 1 GP bestreiten. Damit geht die grösste Karriere der Formel 1 zu Ende. Die drei Comeback-Jahre bei Mercedes mögen wenig erfolgreich gewesen sein, an der herausragenden Stellung des Michael Schumacher in der über 50jährigen Geschichte der Formel 1 haben sie nichts geändert. Es ist fast typisch für die zweite, nicht erfolgreiche Karriere des siebenfachen Formel 1 Weltmeisters, dass deren Ende nun im Schatten des WM-Finales 2012 untergehen wird. Sollte Vettel den Titel holen, wäre „Schumi“, der Sebastian Vettels Aufstieg seit dessen ersten Gokart-Jahren mit Sympathie, Interesse und manchem guten Rat verfolgt hat, sicherlich einer der ersten Gratulanten...

Lukas Gorys

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